Die Eigenbedarfskündigung ist in vielen Fällen die unkomplizierteste Möglichkeit für einen Vermieter, einen Wohnungsmietvertrag zu beenden. Doch auch hier ist einiges zu beachten.
1. Für wen kann Eigenbedarf geltend gemacht werden?
Nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB kann ein Vermieter Eigenbedarf nicht nur für sich persönlich, sondern auch für seine Familienangehörigen und Angehörige seines Haushalts geltend machen.
a) Familienangehörige
Der Kreis der Familienangehörigen umfasst
- Ehegatten und Lebenspartner
- getrennt lebende oder geschiedene Ehegatten (Urteil des BGH vom 2.9.2020 — VIII ZR 35/19)
- Kinder und Stiefkinder, die einen eigenen Hausstand begründen wollen (Urteil des BGH vom 13.10.2010 — VIII ZR 78/10)
- Eltern
- Schwiegereltern (Urteil des Landgerichts München I vom 13.7.2917 — 14 S 1848/16)
- Geschwister
- Großeltern
- Enkel
- Nichten und Neffen
Wenn im Einzelfall ein besonders enges Verhältnis zum Vermieter besteht, können auch entferntere Verwandte wie Schwäger (Urteil des BGH vom 3.3.2009 — VIII ZR 247/08) oder sogar ein Großneffe dazugerechnet werden.
b) Haushaltsangehörige
Zu den Angehörigen des Haushalts zählen z.B.
- Haushaltshilfen oder
- Pflegepersonal für Familienangehörige, die im Hause leben.
2. Eigenbedarf für Zweitwohnung
Der Vermieter benötigt die Mietwohnung im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht nur, wenn die einzugsberechtigte Person ihren Hauptwohnsitz dort begründen möchte. Auch die beabsichtigte Nutzung als Zweitwohnung kann gem. Beschluß des BGH vom 22.8.2017 — VIII ZR 19/17 ausreichend sein. Hier sind allerdings die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Eine “Mindestnutzungsdauer” hat der BGH daher nicht festgelegt.
3. Eigenbedarf für die Ferienwohnung
Genauso kann der Wunsch des Vermieters nach Nutzung der Wohnung als Ferienwohnung für sich und seine Familie einen Kündigungsgrund darstellen. Der BGH hat mit Beschluß vom 21.8.2018 — VIII ZR 186/17 allerdings auch hier klargestellt, daß eine Einzelfallprüfung entscheidend sei. Zu prüfen ist, ob der Eigennutzungswunsch des Vermieters ernsthaft verfolgt wird und von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen ist oder ob er missbräuchlich ist.
4. Eigenbedarf aus beruflichen Gründen
Wenn das Mietobjekt nicht nur zu Wohnzwecken, sondern z.B. auch als Praxis oder Büroraum nutzbar ist, kann der Eigentümer auch dafür Eigenbedarf geltend machen. Dies hat der BGH mit Urteil vom 26.9.2012 — VIII ZR 330/11 entschieden.
Mit Urteil vom 29.3.2017 — VIII ZR 45/16 hat der BGH weiter darauf hingewiesen, daß immer die Umstände des Einzelfalls zu beachten sind, wenn der Vermieter den Eigenbedarf nicht nur zum Wohnen, sondern auch für berufliche Zwecke geltend macht. Auch die Absicht des Vermieters, die Wohnung für eine wirtschaftliche Betätigung zu verwenden, ist vom Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes umfaßt.
- Soweit der Vermieter in einer Mehrzimmerwohnung nur einen Raum als Büro nutzen will, z.B. im Rahmen eines Homeoffice, dürfte im Regelfall Eigenbedarf gegeben sein. Wollte man dem Vermieter eine solche Nutzung verwehren, so würde das eine beachtenswerte Behinderung seiner Berufs- und Lebensplanung darstellen.
- Will ein Vermieter die Wohnung allerdings ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken nutzen, müssen weitere Umstände hinzutreten, um eine Eigenbedarfskündigung zu rechtfertigen. Denkbar wäre das z.B. wenn der Vermieter sein Geschäft sonst nicht rentabel führen könnte oder seine Geschäftsräume in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung gelegen sein müssen, weil er Kinder oder pflegebedürftige Personen zu betreuen hat.
5. Wer darf Eigenbedarf geltend machen?
Eigenbedarf kann nicht nur der Eigentümer des Mietobjekts geltend machen. Der BGH hat mit Urteil vom 14.12.2016 — VIII ZR 232/15 entschieden, daß auch ein Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) für sich oder einen Familienangehörigen Eigenbedarf geltend machen darf. Das setzt natürlich voraus, daß seine Mitgesellschafter einverstanden sind. Ob viele Vermieter von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, das Eigentum an einer Mietwohnung an eine GbR zu übereignen, damit ein Mitgesellschafter Eigenbedarf geltend machen kann, bleibt abzuwarten.
6. Vollmacht nach Kauf
Oft wird eine Wohnung im Hinblick darauf gekauft, daß der Käufer selbst dort einziehen möchte. Eigenbedarf kann er aber erst geltend machen, wenn
- er Eigentümer der Wohnung geworden ist. Das ist nach § 873 Abs. 1 BGB erst mit Eintragung im Grundbuch der Fall.
- der Verkäufer ihm im Kaufvertrag bereits vor Grundbucheintrag die Geltendmachung von Rechten zu einem bestimmten Stichtag überträgt.
Letzteres ist üblich, da der Grundbucheintrag nach Abschluß des Kaufvertrages einige Zeit in Anspruch nehmen kann. Der Käufer tut in diesem Falle aber gut daran, sich vom Verkäufer eine Originalvollmacht für eine Eigenbedarfskündigung ausstellen zu lassen. Das OLG München hat mit Beschluß vom 21.10.2019 — 7 U 3659/19 darauf hingewiesen, daß der Mieter eine Kündigung gem. § 174 BGB zurückweisen kann, wenn ihm z.B. nur der Kaufvertrag ohne Originalvollmacht des Verkäufers vorgelegt wird.
7. Inhalt der Kündigung
In der Kündigung muß der Vermieter den Eigenbedarf begründen. Er muß erklären, worin sein berechtigtes Interesse i. S. v. § 573 BGB an der Kündigung liegt. Die Kriterien dafür hat der BGH mit Urteil vom 15.3.2017 — VIII ZR 270/15 klargestellt. Danach muß der Vermieter
- die Personen benennen, für die er Eigenbedarf geltend macht
- das Interesse darlegen, das diese Personen am Einzug in die Wohnung haben.
Weitere Angaben — etwa zu den aktuellen oder alternativ bestehenden Wohnmöglichkeiten der einzugswilligen Personen — sollte der Vermieter im Hinblick darauf machen, daß ein Gericht im Streitfall überprüfen kann, ob der Eigenbedarf mißbräuchlich ist, weil z.B.
- für eine einzelne Person ein weit überhöhter Wohnbedarf geltend gemacht wird
- die Wohnung den Nutzungswünschen der einzugswilligen Person überhaupt nicht entspricht
- der Wohnbedarf in einer anderen, leerstehenden Wohnung des Vermieters ohne wesentliche Abstriche genauso befriedigt werden kann.
8. Vertrauensschutz des Mieters
Unter Umständen kann eine Eigenbedarfskündigung unwirksam sein, wenn der Vermieter bereits bei Vertragsabschluß wußte oder absehen konnte, daß er oder Mitglieder seiner Familie oder seines Haushalts in absehbarer Zeit selbst einziehen wollen würden. Der BGH hat mit Urteil vom 20.3.2013 — VIII ZR 233/12 entschieden, daß eine Kündigung nur dann nicht rechtsmißbräuchlich ist, wenn der Eintritt des Eigenbedarfs vor Abschluß des Mietvertrages nicht absehbar war. Ein Mieter muß in solchen Fällen vor Unterzeichnung des Mietvertrages über solche Eventualitäten informiert werden. Er muß frei entscheiden können, ob er trotz einer vielleicht schon in einem Jahr anstehenden Eigenbedarfskündigung einziehen will.
Fällt der Eigenbedarf unerwartet bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weg, hat der Vermieter den Mieter ebenfalls auf diesen Umstand hinzuweisen (Urteil des BGH vom 9.12.2020 — VIII ZR 238/18). Dem Mieter steht es dann frei, ob er bleibt oder einen etwa schon geplanten Umzug doch aus freien Stücken durchführt.
9. Muß der Vermieter eine Ersatzwohnung anbieten?
Bislang war eine Eigenbedarfskündigung unwirksam, wenn der Vermieter eine leer stehende Wohnung im selben Haus zur Verfügung hatte und diese dem Mieter nicht ersatzweise anbot. Diese Verpflichtung besteht nach dem Urteil des BGH vom 14.12.2016 — VIII ZR 232/15 zwar weiterhin. Die Kündigung ist aber nicht mehr als unwirksam anzusehen, wenn der Vermieter sich nicht daran hält.
Konsequenzen hat eine solche Unterlassung dennoch: dem Mieter steht Schadenersatz zu, sofern er Nachteile erleidet, weil ihm die Ersatzwohnung nicht angeboten worden ist. Solche Nachteile können z.B. in höheren Umzugskosten oder einer höheren Miete bestehen, wenn der Mieter sonst nur eine entsprechend teurere Wohnung findet.
10. Widerspruch und Härtefall
Dem Mieter bleibt in Ausnahmefällen nur noch der Widerspruch gegen die Kündigung. Der Widerspruch muß jedoch mit einem der in § 574 BGB geregelten Härtefälle begründet werden. Als Härtefall gilt danach:
- die Beendigung des Mietverhältnisses bedeutet für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist;
- angemessener Ersatzwohnraum kann nicht zu zumutbaren Bedingungen beschafft werden.
Der Mieter trägt dabei die Beweislast für das Vorliegen eines Härtefalls. Die bloßen Umstände, die mit einem Umzug gewöhnlich zusammenhängen, sind nicht als Härtefall zu werten. Der BGH hat mit Urteil vom 22.5.2019 — VIII ZR 180/18 klargestellt, daß nur im Wege einer Einzelfallprüfung festgestellt werden kann, ob ein Härtefall vorliegt. Pauschale Bewertungen z.B. dahin, daß
- bei hohem Alter des Mieters regelmäßig ein Härtefall vorliegt oder
- Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann, nur weil im Gemeindegebiet gerichtsbekannt eine angespannte Wohnlage herrscht
verbieten sich damit. Es ist also nicht zulässig, Kategorien zu bilden, in denen generell die Interessen einer Seite überwiegen. Die vom Vermieter beabsichtigte Lebensplanung ist grundsätzlich zu respektieren.
Das Gericht wird also im Einzelfall prüfen, was für ein Ersatzwohnraum für den Mieter nach seinen finanziellen und persönlichen Verhältnissen zumutbar ist und ob er wirklich in ausreichendem Maße danach gesucht hat (s. Urteil des BGH vom 11.12.2019 — VIII ZR 144/19).